You are currently viewing Corona und der Bootsmarkt 2022

Ja, in meinem Berufsstand bekommt man seit knapp zwei Jahren mitunter ziemlich kuriose Dinge zu hören. Von Kunden, denen völlig heruntergewirtschaftete Boote zu geradezu absurden Preisen angeboten werden.

Und von Maklern, die mittlerweile um die halbe Welt reisen, nur um ihre Verkaufslistungen zu halten und die nicht selten Yachten im Wert von mehreren 100T Euros einfach so online verkaufen. Ohne dass der neue Eigner je einen Fuß daraufgesetzt hat. Ab in den Warenkorb quasi und „klick“.

Aber stimmen diese Geschichten wirklich oder wurden hier einfach nur einige Mythen in die Welt gesetzt, die jetzt durch die Marinas kursieren? Nun, wir haben den Markt seit Beginn der Pandemie für Sie beobachtet und können Ihnen fundierte Antworten liefern. „Evidenzbasiert“, wie man heute gerne dazu sagt.

Dazu haben wir uns den Bestand an Listungen in den großen Bootsbörsen innerhalb unserer Heimatreviere Italien und Kroatien jeweils Mitte März angesehen und nach Bootstypen getrennt ausgewertet. Mit einbezogen haben wir dabei:

Der COVID Effekt in Zahlen

Das Ergebnis: waren bei boat24.com im März 2020 noch insgesamt 3.427 Listungen (alle Größenklassen und Baujahre) zu verzeichnen, so sank diese Zahl auf aktuell 2.886, was einem Minus von knapp 22 Prozent entspricht. Ähnlich auch das Bild in den anderen Börsen, die im gleichen Zeitraum ein Minus zwischen 23 und 34 Prozent aufweisen.

Diagramm 1

Entwicklung der Gesamtlistungen in Italien und Kroatien von März 2020 bis März 2022

Interessant aber wird es vor allem dann, wenn man sich die Entwicklungen der Listungen über alle Börsen hinweg getrennt nach Motor- und Segelbooten ansieht. So sank die Zahl an zum Verkauf stehenden Motorbooten (auch hier alle Grössenklassen und Baujahre) im März 2021 auf rund 74 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2020 und stieg aber dann wieder auf aktuell knapp 80 Prozent an.

Ganz anders hingegen das Bild bei den Segelbooten, deren Bestand zunächst zwar „nur“ auf zirka 83 Prozent im Jahr 2021 abnahm.

Im Gegensatz zu den Motorbooten setzte sich dieser Trend allerdings auch bis zum aktuellen Zeitpunkt fort und nahm mit rund 64 Prozent gegenüber 2020 sogar noch weiter Fahrt auf.

Ein Drittel des einst verfügbaren Bestandes an Segelbooten wurde also durch den COVID Effekt vom Markt gefegt.

Diagramm 2

Relativer Verlauf der Gesamtlistungen im Vergleichszeitraum (Bestand im März 2020 = 100 Prozent)

Quo Vadis Bootsmarkt

Ob und inwiefern sich hieraus nun die Entwicklung in naher Zukunft prognostizieren lässt, ist angesichts der aktuellen Verwerfungen in Politik und Wirtschaft allerdings erst einmal mit einem großen Fragezeichen versehen. Eine etwas erhöhte Vorsicht und eher einmal abwartende Haltung lässt sich auf Seiten der Käufer zweifellos schon einmal feststellen.

Mittelfristig kann man aber davon ausgehen, dass sich die gegenwärtigen Trends innerhalb von 2 bis 3 Jahren jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder umkehren werden. Denn mit der gestiegenen Euphorie der letzten Jahre war schon auch recht oft ein etwas unbedarfter Zugang zu den laufenden Kosten einer Yacht zu beobachten. Und ich fürchte, diesbezüglich wird die Ernüchterung bei dem Einen oder Anderen schon sehr bald einsetzen.

Zumal ja neben den steigenden Kraftstoffpreisen und anderen Unwägbarkeiten auch die Marinas auf die steigende Nachfrage nach Liegeplätzen reagieren und ihre Tarife wieder kräftig nach oben schrauben.

In diesem Sinne…

…genießen Sie das Leben und Ihre Yacht so gut und so oft Sie können.

Herzlichst, Ihr

Ing. Ingolf Schneider, MASc (AssocRINA)

Ing. Ingolf Schneider, MASc (AssocRINA)

Zertifizierter Sachverständiger für Boote und Yachten bis 24m (LLoyds Maritime Academy, American Boat and Yacht Council). Mitglied der Royal Institution of Naval Architects.