Osmose – ein Wort, das vielen Bootsbesitzern die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Lange habe ich überlegt, ob ich mich diesem Thema im Rahmen meiner Artikel auch einmal widmen soll. Schließlich findet der interessierte Leser ja genug einschlägige Lektüre, sobald er die Google Suche bemüht.

Doch die Sache hat einen Haken: egal wo man nachliest, es finden sich einfach derart viele Mythen, Halbwahrheiten und Schauergeschichten, dass es für einen Nicht-Fachmann gewiss schwierig ist, all diese teils kontroversen Informationen richtig einzuordnen.

Im nachfolgenden daher der Versuch einer nüchternen Objektivierung im Spannungsfeld zwischen Bootsbesitzern, potenziellen Käufern und Reparaturwerften – unterlegt mit Fakten und Erfahrungen aus meiner Tätigkeit als Gutachter. Und am Ende die Frage: “Kann man ein Boot mit Osmose-Befall kaufen, oder sollte man besser das Weite suchen?”

Lassen Sie uns loslegen.

Die Grundlagen: Wie entsteht Osmose?

Osmose ist ein physikalisch-chemischer Prozess, bei dem Wasser durch eine semipermeable Membran (in diesem Fall das Gelcoat) in Bereiche mit höherer Konzentration von gelösten Stoffen eindringt. Dieser Prozess ist anfangs schleichend, doch durch die chemische Reaktion von Wasser mit nicht ausgehärteten Polyesterharzen und deren Abbauprodukten entstehen osmotisch aktive Substanzen wie Glykol und Essigsäure, welche immer mehr Wasser anziehen.

Die resultierende Volumenzunahme führt zur Bildung von Blasen unterhalb des Gelcoats und kann (wohlgemerkt kann!) bei fortgeschrittenem Befall zu einer Schwächung der Struktur führen, da der Laminataufbau angegriffen wird. Wenngleich Letzteres in der Praxis die absolute Ausnahme darstellt, auch wenn dies noch so oft von diversen “Experten” auf’s Tablet gebracht wird.

Mythos 1: Jede Blase ist Osmose

Immer wieder erlebe ich im Rahmen von Begutachtungen, dass schon kleinste Bläschen im Gelcoat Panik auslösen und sowohl Eigner als auch Käufer neben mir blass anlaufen. Doch erst einmal tief durchatmen! Nicht jede Blase ist ein Zeichen für Osmose. Oftmals handelt es sich um Lufteinschlüsse, die während der Produktion entstanden sind, oder um Blasenbildung im Gelcoat selbst, die durch Temperaturschwankungen oder chemische Prozesse entstehen können.

Und selbst wenn ein Flüssigkeits-Einschluss vorliegt, so muss dieser nicht gleich zwangsläufig osmotisch bedingt sein. Eine gründliche Untersuchung inklusive der Analyse einer allfälligen Blasenflüssigkeit ist hier essentiell, um die Ursache korrekt zu bestimmen. Oder wie David Pescoe (einer meiner anerkanntesten Kollegen, der leider nicht mehr unter uns weilt) es formulierte: „Die bloße Anwesenheit von Blasen bedeutet nicht automatisch Osmose; es ist die chemische Zusammensetzung der darin enthaltenen Flüssigkeit, die entscheidend ist.“

Mythos 2: Osmose führt unweigerlich zum Totalschaden

Dieser Mythos ist besonders bei Kaufinteressenten verbreitet und wird – so zumindest mein Eindruck – von einigen Werften bisweilen gerne zur Umsatzsteigerung genutzt. Natürlich kann Osmose, wenn sie über lange Zeit unbehandelt bleibt und sich zu hoher Blasendichte mit tiefgehenden Lunkern entwickelt, zu strukturellen Problemen führen, da das Laminat durch die aufquellende Flüssigkeit und die Lösung des Harzes seine Festigkeit verliert.

Doch in der überwiegenden Anzahl der Fälle handelt es sich um einen langsamen, überschaubaren Prozess, der sich nicht über Nacht vollzieht. Mit regelmäßiger Inspektion und einer fachgerechten Sanierung, die auf den jeweiligen Befall abgestimmt ist, können betroffene Boote ihren Dienst noch viele Jahre zuverlässig verrichten.

Die Panikmache, dass ein Osmosebefall gleichbedeutend mit einem Totalschaden ist, dient oft nur dazu, unüberlegte, kostspielige Reparaturen zu erzwingen oder den Wert von Booten unnötig zu mindern.

Die nachfolgenden Beispiele mögen dies verdeutlichen:

Osmosebefall bei einem Boot in Kroatien

OsmoseSanierung Fallbeispiel #1

Boot: Segelyacht Formosa 51 (BJ 1990)
Osmosegrad: 2
Sanierung: partielle Reparatur plus Sperrschicht
Sanierungskosten (ohne Sandstrahlen): ca. EUR 7.000.- (Kroatien)

Osmosebefall bei einem Boot in Italien

OsmoseSanierung Fallbeispiel #2

Boot: Motoryacht Azimut 39 (BJ 1999)
Osmosegrad: 2
Sanierung: partielle Reparatur plus Sperrschicht
Sanierungskosten (inklusive Sandstrahlen: ca. EUR 10.000.- (Italien)

Mythos 3: Die Feuchtemessung als alleinige Diagnosegrundlage

Die Feuchtemessung ist ein nützliches Instrument zur Früherkennung von potenziellen Problemen, doch sie ist keineswegs die alleinige Grundlage für eine Osmose-Diagnose. 

Eingefleischte Youtube Fans kennen sicherlich die Videos von Experten, die mit einem piepsenden Messgerät um den Rumpf laufen, um dann mit ernster Miene zu verkünden, dass Messwerte jenseits der 40 Prozent Marke festgestellt wurden. Katastrophal!

Allerdings – wenngleich dies marketingtechnisch gewiss schlau ist, so entbehren derlei Aussagen jeder Realität.

Denn zum Einen ist es auf Grund der Inhomomogenität und unterschiedlicher Harzanteile vollkommen unmöglich, den Feuchtegehalt eines GFK Laminats mit Hilfe von kapazitiven Messgeräten auf irgendeine Prozentzahl hin zu bestimmen (ob Volumen- oder Gewicht gemeint ist, erfahren wir in all diesen Videos leider nie).

Und zum Anderen belegen labortechnische Versuche, dass GFK Proben im Salzwasser ab ca. 13 Prozent Gewichtszunahme als gesättigt angesehen werden können.

Feuchtemessung bei einem GFK Boot mit dem Messgerät Tramex Skipper Plus

Feuchtemessung bei einem GFK Rumpf mit dem kapazitiven Messgerät "Tramex Skipper Plus"

Auch hier wird also oftmals mit reiner Panikmache agiert.

Das bedeutet nicht, dass die Feuchtemessung generell unsinnig wäre. Die Interpretation der Messergebnisse erfordert jedoch ausreichende Vergleichsdaten und Erfahrungswerte, um verwertbare Befunde zu erstellen.

Osmosegrade: Die Bedeutung der Schadensausprägung im Detail

Die Ausprägung von Osmose wird üblicherweise in verschiedene Grade unterteilt, die von leichten, kaum sichtbaren Anzeichen bis zu tiefgreifenden Schäden im Laminat reichen. Diese Einteilung ist wichtig, um den Umfang der notwendigen Reparaturmaßnahmen zu bestimmen. 

Grad 0: Keine Anzeichen: Das Gelcoat ist unversehrt, keine Blasenbildung oder erhöhte Feuchtigkeitswerte. Eine vorbeugende Kontrolle ist dennoch ratsam.

Grad 1: Leichte Bläschenbildung: Einzelne, kleine Bläschen im Gelcoat, die oft nur durch genaues Hinsehen erkennbar sind. Die Blasenflüssigkeit ist meist klar und von geringem Volumen. Partielle Reparaturen sind ausreichend.

Grad 2: Moderate Bläschenbildung: Vermehrte Bläschen, die auch größer sein können und tendenziell eher mit einem trüben, leicht säuerlich riechenden Flüssigkeitsinhalt gefüllt sind. Das Laminat ist noch nicht signifikant angegriffen. Eine Sanierung mit teilweiser Gelcoat-Entfernung und anschließender Epoxidbeschichtung wird in den meisten Fällen sachgerecht sein.

Grad 3: Fortgeschrittene Bläschenbildung: Die Blasen sind großflächiger vorhanden und der Flüssigkeitsinhalt ist trüber, säuerlicher und von höherem Volumen. Das Laminat kann erste Anzeichen einer Schwächung zeigen. Hier ist eine umfassendere Sanierung mit vollständiger Gelcoat-Entfernung, Trocknung und mehrschichtiger Epoxidbeschichtung unumgänglich.

Grad 4: Strukturelle Schäden: Das Laminat ist durch die osmotische Reaktion bereits so weit geschädigt, dass es seine Festigkeit verloren hat und sich stellenweise delaminiert (Schichtentrennung). Eine umfassende Sanierung bis hin zum Austausch von Laminatteilen ist erforderlich.

Die Rolle der Werften: Sachliche Befunde versus Profitinteressen

Dieser Punkt birgt zweifellos das Potenzial für kontroverse Debatten. Dennoch möchte ich an dieser Stelle einmal etwas näher darauf eingehen:

Vorsicht ist geboten, wenn die Beurteilung von Osmose Fällen allein etwaigen Reparaturwerften überlassen wird. Denn während man auch in diesen Reihen unbestritten gute und objektive Fachleute antrifft, so erlebe ich doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit, dass Werften in der Osmosebehandlung vorwiegend eine lukrative Einnahmequelle sehen und daher zu übertriebenen Sanierungsempfehlungen neigen.

Es ist nicht unüblich, dass anstelle einer lokalen Reparatur, die für Grad 1 oder 2 ausreichend wäre, eine komplette Gelcoat-Entfernung empfohlen wird – was aus mehreren Gründen problematisch ist: zum Einen, weil ein nachträglicher Laminataufbau niemals die gleichen Festigkeitwerte wie das chemische Bonding des ursprünglichen Laminats erreichen wird. Und zum Anderen, weil durch das Ansetzen von Gelcoat-Fräsen nicht selten mehr Schaden angerichtet wird, als durch die eigentliche Osmose. 

Auch der Zeitrahmen für die Trocknungsphase wird oft unnötig verlängert, was die Kosten in die Höhe treibt. Bei solchen Reparaturempfehlungen ist es daher umso wichtiger, kritisch zu hinterfragen und sich im Zweifel eine zweite Meinung von einem unabhängigen Sachverständigen einzuholen. Eine genaue Schadensanalyse, basierend auf einer gründlichen Inspektion und einer Analyse der Blasenflüssigkeit, sollte die Grundlage jeder Reparatur bzw. Sanierung sein.

Lassen Sie sich nicht von Horror-Szenarien verrückt machen, in denen Ihnen der baldige Untergang prophezeit wird, wenn Sie nicht bereit sind zigtausende Euro in ein solches Projekt zu investieren.

Der seltsame Fall der "Mille Sabords" – Kann ein Boot durch Osmose sinken?

Die Geschichte der „Mille Sabords“, eines kleinen Cabin Cruisers (Jeanneau Seabird), der im Jahr 2019 sank, wird oft als Beweis dafür angeführt, dass Osmose zum Untergang führen kann. Die Wahrheit ist jedoch komplexer und beruht – wie so oft – auf einer Verkettung verschiedener Umstände. Denn während Osmose in äußerst seltenen Fällen zu einer Schwächung der Struktur beitragen kann, war in diesem Fall eine Kombination aus konstruktiven Mängeln, Vernachlässigung der Wartung und diversen unsachgemäßen Verbastelungen die primäre Unfallursache.

Und auch, wenn ich mich im Kreise meiner Kollegen weltweit umhöre, so kann keiner von Ihnen auch nur einen einzigen Fall nennen, in dem ein Boot tatsächlich auf Grund eines Osmosebefalls auf Grund gegangen wäre.

Prävention: Mehr Schein als Sein?

Nur allzu gerne wird auch die Anwendung von Osmoseschutzanstrichen als präventive Maßnahme gegen Osmose propagiert. Doch während diese Anstriche, die in der Regel auf Epoxidbasis hergestellt sind, eine zusätzliche Barriere bilden können, sind sie keineswegs eine Garantie für den Schutz vor Osmose. Die Wirksamkeit solcher Anstriche hängt stark von der Qualität des Auftrags, der verwendeten Materialien und der Vorbereitung des Untergrundes ab.

Zudem verwenden viele Hersteller – zumindest in den äußeren Laminatschichten –  heutzutage resistentere Harzformulierungen wie zB Vinylestherharze, welche bereits ab Werft eine sehr hohe Widerstandskraft gegen Osmosebildung sicherstellen. 

Auch hier gilt also: holen Sie im Zweifelsfall stets noch eine unabhängige Meinung ein oder halten Sie Rücksprache mit dem Hersteller, um die Sinnhaftigkeit solcher Beschichtungen zu erörtern. 

Bei älteren Booten, an denen bereits ein Osmosebefall festgestellt wurde, ist eine derartige Massnahme hingegen jedenfalls anzuraten.

Der Kauf eines Bootes mit Osmose: Ja oder Nein?

Nachdem wir die Mythen rund um Osmose entlarvt und die verschiedenen Aspekte beleuchtet haben, bleibt abschließend nur noch eine zentrale Frage offen: Kann man ein Boot mit Osmose-Befall kaufen?

Nun… prinzipiell sollte ein Osmosebefall nicht gleich als absolutes No-Go eingestuft werden. Vielmehr gilt es, jeden Fall individuell zu beurteilen und die verschiedenen Einflussfaktoren sorgfältig abzuwägen:

Osmosegrad und Umfang des Befalls: Ein Boot mit leichtem Befall (Grad 1 oder 2) kann durchaus eine interessante Option sein, wenn der Preis entsprechend angepasst ist und die Reparaturkosten vor einer Kaufentscheidung realistisch kalkuliert werden. Hier würde ich in den wenigsten Fällen Bedenken anmelden.

Bei fortgeschrittenem Befall (Grad 3 oder 4) sollte man hingegen sehr genau prüfen, ob man am Ende noch ein lukratives Geschäft abschließt. Nicht nur in finanzieller Hinsicht – sondern auch hinsichtlich der Frage, ob man sich dem ganzen Aufwand aussetzen möchte. 

Hier kommen dann unter Umständen weitere Faktoren wie Marktgängigkeit oder spezifische Ausstattungs- und Konstruktionsmerkmale zum Tragen, welche bei der Kaufentscheidung maßgeblich sein können. 

Zustand des restlichen Bootes: Neben einem allfälligen Osmosebefall muss natürlich auch der Allgemeinzustand des Bootes in Betracht gezogen werden. Sind alle anderen Bereiche gut gepflegt und gewartet, kann man beim Thema Osmose jedenfalls etwas genauer hinsehen, bevor man sich abwendet. 

Preisgestaltung: Wer sich traut, ein Boot mit Osmosebefall zu kaufen, kann in jedem Fall mit einer erheblichen Preisreduktion rechnen. Einfach weil nicht viele potenzielle Käufer bereit sind, sich auf dieses Wagnis einzulassen. Jedenfalls aber ist es stets ratsam, vor einem Angebot ALLE erforderlichen Reparatur- und Refitkosten zu kennen, um einen fairen Preis auszuhandeln.

Langfristige Perspektive: Gerade bei Booten, welche nur partiell saniert werden, besteht doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass weiterhin neue Blasen auftreten und somit auch zukünftig kleinere Ausbesserungen erforderlich werden. Auch hier gilt es also entsprechend abzuwägen, ob man bereit ist, diesen Aufwand in Kauf zu nehmen. 

Quellenangaben

  • IOSR Journal of Mechanical and Civil Engineering (IOSRJMCE) ISSN : 2278-1684 Volume 2, Issue 5 (Sep-Oct 2012): „Moisture Absorption Evolution of Gfrp Laminates Subjected To
    Different Environmental Conditions“
  • International Institute of Marine Surveyors (IIMS), Jeffrey Casciani-Wood: „The use of Moisture Meters on Small Craft
  • Bureau d’enquêtes sur les évènements de mer: „Naufrage de la vedette de plaisance MILLE SABORDS
    le 12 août 2019, aux abords d’Agon-Coutainville (trois victimes)“