Samstag, 3. Juli 1999. Die „Random Harvest“, ein 33 Fuß GFK Charterboot, läuft mit 2 Mann Besatzung und 6 Gästen zum Angeln von ihrem Heimathafen Brighton aus. 4 Seemeilen später nimmt ihr Skipper das schrille Geräusch des Bilgen-Alarms wahr.
Er öffnet den Motorraum und entdeckt einen massiven Wassereinbruch. Die Bilgepumpen werden eingeschaltet. Doch sie werden der Lage nicht Herr. Erst nachdem er den Kühlwasser-Ansaugschlauch von der Maschine abzieht und deren Seewasserpumpe zusätzlich nützt, stabilisiert sich die Lage soweit, dass sie es mit Mühe wieder zurück bis in die Marina schaffen.
Wenige Tage später werden Sachverständige der Marine Accident Investigation Branch den gebrochenen Borddurchlass der Toiletten-spülung als kausale Ursache identifizieren.
Ursache: Entzinkung eines Borddurchlasses
Doch wie konnte dieser so plötzlich versagen? Nun… die Antwort findet sich in der guten alten elektrochemischen Spannungsreihe, mit der so mancher von uns (mehr oder weniger engen) Kontakt im Physik-Unterricht anno dazumal hatte. Drehen wir also das Rad der Zeit etwas zurück. Bitte um Ruhe im Klassenzimmer!
Metalle haben, je nach Art bzw. Legierung, unterschiedliche elektrische Eigenspannungs-potenziale, welche im Wesentlichen durch die Anzahl der (negativ geladenen) Elektronen bestimmt werden, die um deren Atomkerne schwirren. Sind dies nur relativ wenige, so liegt auch ein niedriges Eigenspannungspotenzial vor. Wir sprechen von einem „edlen“ oder auch „kathodischen“ Metall.
Scharen sich jedoch vergleichsweise viele Elektronen um den Atomkern, so liegt auch ein hohes Eigenspannungspotenzial vor. Wir sprechen nun von einem „unedlen“ oder „anodischen“ Metall.
„Edle und Unedle Metalle“
Die elektrochemische Spannungsreihe (Auszug)
Wie aus obiger Tabelle ersichtlich, wäre Bronze z.B. als kathodisches Metall einzustufen, während Magnesium als anodisch zu werten ist.
Aber was hat das alles mit einem gebrochenen Borddurchlass zu tun, könnte man jetzt Zweifel in Richtung Lehrerpult anmelden? Und solange alle im Trockenen sitzen, wären die obigen Erkenntnisse tatsächlich nur mäßig relevant. Ganz anders sieht das allerdings aus, wenn (wie bei Booten nicht unüblich) noch Wasser hinzukommt. Wasser (vor allem Salzwasser) ist elektrisch leitend – also ein sogenannter Elektrolyt.
Und wenn wir nun zwei Metalle mit stark unterschiedlichen Eigenpotenzialen in einen Elektrolyten setzen, und mittels eines Leiters verbinden, dann feiern die Elektronen Kirtag.
Für sie ist das, wie das Läuten der Pausenglocke nach dem Physikunterricht. Denn Elektronen sind ungestüme Wesen und sobald man Ihnen einen Weg bereitet, tendieren sie dazu, das Weite zu suchen.
Und genauso, wie auch wir Menschen dazu neigen, uns von engen Massenansammlungen zu distanzieren, so drängen auch die Elektronen von dicht besiedelten Atomkernen bevorzugt in Richtung weniger besiedelter. Also weg von der Anode, hin zur Kathode, um wieder etwas Fachvokabular zu gebrauchen.
Welche Vorgänge dabei im Detail ablaufen, heben wir uns für die nächste Klasse auf. Aber wir können schon vermuten, dass so eine Wanderung von Elektronen auch ihre Spuren hinterlässt. Vor allem an der Anode, denn sie ist es ja, die Elektronen verliert – sie also der Kathode gegenüber „aufopfert“.
Und genau dieses Phänomen wurde auch der „Random Harvest“ an jenem schicksalhaften Tag zum Verhängnis. Wenden wir unser bisher gesammeltes Wissen an, um zu verstehen, was passiert ist:
Wir erinnern uns: der Wassereinbruch war die Folge eines gebrochenen Borddurchlasses für die Toilettenspülung. Dieser Borddurchlass bestand aus 60/40 Messing, also einer Legierung aus 60% Gewichtsanteil Kupfer und 40% Zink.
Unserer obigen Tabelle können wir entnehmen, dass Zink ein hochgradig anodisches Metall mit einem Potenzial von -1100 mV ist. Es hat also demnach eine starke Neigung, Elektronen in Richtung kathodischer (oder edlerer) Metalle abzugeben, sobald diese sich gemeinsam in einem Elektrolyt (Meerwasser) befinden.
Auf der „Random Harvest“ wären das z.B. die Propellerwelle aus Edelstahl (-550mV) oder andere Unterwasser Fittings aus Bronze (-280mV). Der Borddurchlass der Toilette verlor also nach und nach den Zink-Anteil in seiner Legierung, was sie schließlich spröde machte und zum Bruch führte. Metallurgen nennen diesen Vorgang sinngemäß „Entzinkung“.
„Entzinkung“ – das Unglück kommt auf leisen Pfoten
Ein Wasserlöffel mit fortgeschrittener Entzinkung. Man kann sich ausmalen, wie lange dieses Boot noch AUF dem Wasser gewesen wäre…
Galvanische und Elektrolytische Korrosion
Die Ursache für „Random Harvest“s beinahe-Katastrophe war also die Folge galvanischer Korrosion.
Wobei die Ermittler schlussfolgerten, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit auch fehlerhafte Elektroinstallationen an Bord dazu geführt hatten, dass die Korrosionsrate beschleunigt wurde.
Dies kann zum Beispiel dann passieren, wenn Kabel im Bilgenbereich nicht sorgfältig isoliert sind und dadurch für einen ständigen Nachschub an Elektronen sorgen. Dabei gilt: je höher die Spannung solcher „Kriechströme“ ist, umso stärker fällt der Zerfallsprozess an der Anode aus. Insbesondere bei Gleichstrom, kann dies fatale Auswirkungen haben.
Ist eine solche Fremdstromquelle am Korrosionsprozess beteiligt, so spricht man auch von „elektrolytischer Korrosion“.
Teil 2: Der richtige Kathodische Schutz – eine Lebensversicherung für Ihr Boot