1. Vorwort
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, welche unscheinbaren Komponenten an Bord Ihrer Yacht für Ihre Sicherheit und den Erhalt Ihres Schiffes entscheidend sind? Eines dieser oft übersehenen, aber essentiellen Elemente sind Borddurchlässe und Seeventile.
Ein Beispiel aus meiner Praxis:
Ein neuer Tag, ein neuer Auftrag: auf meinem Kalender steht die Begutachtung einer Oyster 68 auf dem Programm. Ich betrete die Yacht und wie immer verschaffe ich mir erst einmal einen groben Überblick bzw. ersten Eindruck. Ein gepflegtes Teakdeck, das Rigg scheint gut gewartet und im Cockpit findet sich alles, was das Skipperherz begehrt.Alles bestens soweit. Also Leinen los und Kurs Richtung Travellift, der ein paar Seemeilen vom Liegeplatz entfernt ist.
Unterwegs nütze ich die Zeit, um gleich einmal ein paar Bodenpaneele anzuheben und mir die Bilge-Installationen anzusehen, als mir plötzlich eine leichte Leckage im Bereich eines Seeventils auffällt. Nichts wirklich dramatisches bis hierher.
Doch die Situation ändert sich schlagartig, als ich den Hebel des Kugelventils betätigen möchte und – voila – bei kaum nennenswerter Kraftanstrengung das gesamte Seeventil samt einem Teil des Borddurchlasses in den Händen halte. Begleitet von einer Fontäne Seewasser, die nun in das Boot strömt.
Zum Glück ist der Travellift nicht mehr weit und das Leck kontrollierbar, sodass nichts Schlimmeres passiert. Doch das selbe hätte auch in einem unbeaufsichtigtem Moment passieren können – mit guten Aussichten auf ein Sinken der Yacht. Denn wie sich bei der Inspektion am Trockenen herausstellte, war der Borddurchlass mehr oder weniger über den gesamten Querschnitt korrodiert bzw. gerissen und wurde gerade noch von ein paar Quadratmillimetern Material zusammengehalten.
Ein Bild, dass sich mir leider all zu oft bietet: während alles in Augenhöhe top gepflegt ist und die Yacht mit allem nur erdenklichen Komfort ausgestattet ist, herrscht in den weniger augenscheinlichen Bereichen der Verfall. Und selbst bei fast neuwertigen Yachten entdecke ich mitunter billige und minderwertige Installationen – fern aller maßgeblichen Sicherheitsaspekte.
Lassen Sie uns also im Folgenden einen eingehenden Blick auf das Thema „Seeventile und Borddurchlässe“ werfen und alle Fragen zur einschlägigen Vorschriften, der Materialauswahl, sowie der Installation und Wartung beleuchten.
2. Regulatorische Vorschriften und Normen zu Seeventilen und Borddurchlässen
Einschlägige Regulatorien zur Installation von Seeventilen finden sich unter anderem in der europäischen Recreational Craft Directive (RCD) in Gestalt der ISO 9093:2020 bzw dem amerikanischen ABYC Standard H27.
Beiden gemeinsam ist zum Beispiel, dass Schlauchverbindungen unterhalb der Wasserlinie grundsätzlich mit doppelten Schellen gesichert werden müssen.
Ebenso wird darauf hingewiesen, dass bei der Materialauswahl auf das Risiko galvanischer Korrosion zu achten ist.
Auf detaillierte Empfehlungen zu Materialien bzw. Materialkombinationen wird hingegen in beiden Standards verzichtet (meines Erachtens nicht nachvollziehbar).
Ferner werden laut ISO 9093 folgende Belastungs Szenarien als Mindestanforderung genannt:
Für Nenndurchmesser bis 1 Zoll (25,4mm): 1.500 N (oder ca 150kg)
Für Nenndurchmesser über 1 Zoll (25,4mm): 2.224 N (oder ca. 220kg)
Gemeint sind hiermit jene Kräfte, die auf ein installiertes Ventil einwirken können, ohne dass es zu einem Versagen (zB bei der Verschraubung mit dem Borddurchlass) kommen darf.
Eine weitere, gemeinsame Forderung von ABYC und RCD Standards besteht darin, dass die Einbaulage einen guten Zugang für die Bedienung und Wartung gewährleisten muss.
Eine wenig vertrauenserweckende Installation eines Seeventils ohne Schlauchanschluss
Ein Borddurchlass mit erheblicher Korrosion - sein Versagen ist vorprogrammiert.
Diese Sperrholz-Grundplatte ist im Begriff sich aufzulösen - das Ventil wäre dann ungesichert.
3. Materialien und ihre Eigenschaften
Lassen Sie uns also im Folgenden typische Materialien für Seeventile und Borddurchlässe betrachten:
3.1. Messing
Messing ist eine Legierung aus Kupfer und Zink und wird häufig bei der Herstellung billiger Fittinge bzw. Ventile verwendet.
Problematisch ist vor allem der Zink-Anteil, welcher durch galvanische bzw. elektrolytische Reaktionen gelöst werden kann und sodann ein relativ schwaches Material mit hohem Kupferanteil hinterlässt.
3.2. ENTZINKUNGSRESISTENTES Messing
Diese Legierung, die gemeinhin als DZR- oder CR-Messing bekannt ist, enthält ebenfalls Kupfer und Zink, es werden jedoch geringe Anteile Zinn und Arsen hinzugefügt, um einer Entzinkung vorzubeugen und die physikalische Festigkeit zu erhöhen.
DZR-Messing ist das am häufigsten verwendete Material bei der Produktion von Marine Fittingen.
3.3. Bronze
Bronze ist gewiss die erste Wahl, wenn es um qualitativ hochwertige und korrosionsbeständige Borddurchlässe bzw. Seeventile geht. Es handelt sich um eine Legierung aus Kupfer, Zinn, Nickel und anderen Metallen – je nach Verwendungszweck des Materials.
3.4. Edelstahl
3.5. Marelon
Marelon ist ein hochentwickeltes, faserverstärktes Kunststoffmaterial, das speziell für den Einsatz im maritimen Bereich entwickelt wurde. Es bietet eine herausragende Beständigkeit gegen Seewasser und witterungsbedingte Einflüsse. Marelon korrodiert nicht, was es zu einer idealen Wahl in aggressiven Umgebungen macht.
3.6. Materialpaarungen und galvanische Korrosion
Alles entscheidendes Kriterium für die Paarung von Materialien bei Seeventilen ist deren Anfälligkeit für bzw. Resistenz gegen galvanische Korrosion. Diese tritt immer dann auf, wenn zwei unterschiedliche Metalle elektrisch leitend in einem Elektrolyt (Salzwasser) miteinander verbunden sind, wobei die Korrosionsprozesse um so rapider verlaufen, je größer die Differenz des sogenannten “Eigenpotenzials” der Materialien ist (weiterführende Informationen zu diesem Thema finden Sie im Artikel „Galvanische Korrosion auf Booten„).
Die nachfolgende Tabelle zeigt daher eine Übersicht, welche Materialpaarungen bei der Installation von Borddurchlässen und Seeventilen zu bevorzugen bzw. zu vermeiden sind:
Tabelle 1: Materialpaarungen bei Seeventilen und Borddurchlässen
Material | Eigenpotenzial | Verträglichkeit mit Bronze | Verträglichkeit mit Edelstahl |
---|---|---|---|
Bronze | ca -280mV | gleichwertig | mäßig |
Messing | ca -350mV | ausreichend | mäßig |
Marelon | nicht leitfähig | sehr gut | sehr gut |
Anmerkung: Eigenpotenziale können – je nach genauer Legierung – variieren. Beachten Sie daher stets die spezifischen Hersteller-Spezifikationen.
4. Gewindetypen und ihre Kombination
Ein weiterer (und leider oftmals vernachlässigter) Faktor bei der Auswahl bzw. Installation von Seeventilen und Borddurchlässen betrifft die Spezifikation der unterschiedlichen Gewindetypen:
4.1. Gerade Gewinde (zB NPS, BSP)
Normen: ISO 228-1 (Gewinde für Gewindeverbindungen, die nicht zum Abdichten vorgesehen sind), BSP (British Standard Pipe) Gewinde
Verwendung/Eigenschaften: Gerade Gewinde werden meist bei Borddurchlässen eingesetzt. Sie bieten eine große Auflagefläche für Stabilität, erfordern jedoch in der Regel Dichtungsmittel oder Dichtungsringe für die Erreichung einer wasserdichten Verbindung.
4.2. Konische Gewinde (zB NPT. BSPT)
Normen: ANSI/ASME B1.20.1 (NPT – National Pipe Thread)
und ISO 7-1 (BSPT – British Standard Pipe Tapered)
Verwendung/Eigenschaften: Konische Gewinde werden öfters bei Ventilen eingesetzt, wobei durch den Konus eine selbstdichtende Verbindung gefördert wird.
Achten Sie beim Kauf von Seeventilen bzw. Borddurchlässen daher stets auf die genaue Gewinde-Spezifikation bzw. Kompatibilität der Gewinde. Obwohl in der Praxis häufig anzutreffen, stellt die Kombination unterschiedlicher Gewindetypen (gerade/konisch) KEINE optimale Lösung dar und sollte daher vermieden werden.
5. "Echte Seeventile" (mit Grundplatte) und einfache Kugelventile
Zu guter letzt wollen wir noch einen Blick auf die unterschiedlichen Bauarten von Ventilen werfen, zumal es auch hier ganz wesentliche Unterschiede in der Eignung für Installationen unterhalb der Wasserlinie gibt.
5.1. Seeventile mit Grundplatte
Aufbau und Funktionsweise: Diese Ventile haben ein Gehäuse, welches mit einer Grundplatte bzw. einem Montageflansch versehen ist, sowie dem eigentlichen Ventilkörper.
Vorteile: Dank der Grundplatte bieten diese Ventile eine stabile und solide Montage, welche selbst bei einem Versagen des Borddurchlasses eine Abdichtung gewährleistet.
Ferner kann der Ventilkörper für Wartungsarbeiten einfach zerlegt werden.
Nachteile: Diese Ventile sind in der Regel teurer in der Anschaffung und aufwendiger in der Installation, da eine plane Fläche benötigt wird. Zudem benötigt ihr Einbau etwas mehr Platzbedarf.
"Echtes Seeventil" mit Grundplatte (Credit: spartan.com)
5.2. Einfache Kugelventile
Aufbau und Funktionsweise: Einfache Kugelventile bzw. Kugelhähne haben keine Grundplatte und werden daher alleine über die Verschraubung mit dem Borddurchlass gesichert.
Vorteile: Kugelventile sind in der Regel kostengünstiger und einfacher in der Herstellung und Installation. Sie benötigen weniger Platz, was sie für Anwendungen in engen Bereichen attraktiv macht.
Nachteile: Durch die Montage auf dem Borddurchlass wird dieser deutlich stärker belastet und bei einem Versagen kommt es unweigerlich zu einem Wassereinbruch.
6. Fazit
Borddurchlässe und Seeventile sind ein kritisches Sicherheitsmerkmal einer Yacht und sollten daher auch dementsprechende Priorität genießen. Wer hier spart, der spart eindeutig am falschen Platz.
Verwenden Sie insbesondere im Unterwasserbereich am besten stets Ventile aus Bronze bzw. Rotguss – idealerweise in der Ausführung mit Grundplatte. Sollte dies aus Platzgründen nicht möglich sein, so gewährleistet auch die Kombination Bronze-Kugelventil mit Bronze-Borddurchlass gute Dienste.
Alternativ können auch hochwertige Marelon bzw. Polyamid Ventile (Trudesign) verwendet werden (insbesondere auf Stahl- bzw. Aluminium Yachten, um galvanische Korrosion zu vermeiden).
Finger weg hingegen von billigen Messing-Ventilen, Messing Borddurchlässen oder – noch schlimmer – der Kombination Kunstoff-Borddurchlass mit Messing Kugelventil).
In diesem Sinne: immer eine Handbreit Wasser unter’m Kiel, Ihr
Ing. Ingolf Schneider, MASC
Zertifizierter Sachverständiger für Boote und Yachten bis 24m (LLoyds Maritime Academy, American Boat and Yacht Council). Mitglied der Royal Institution of Naval Architects und des International Institute of Marine Surveyors