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Man kennt das ja aus dem Flugzeugbau: ginge es nur nach der Idealvorstellung von Ingenieuren, dann wäre so ein Jet nichts anderes, als eine Röhre mit Flügeln. Am besten ohne jegliche Fenster, die nur die strukturelle Integrität der ganzen Konstruktion stören.

Dann kommen allerdings die Marketing-Experten und argumentieren, dass Passagiere gerne einen Blick in die Wolken hätten und sogar bereit wären, dafür einen höheren Ticketpreis zu bezahlen.

Also ziehen sich die Techniker an ihre CAD Workstations zurück und fabrizieren mit der „Cut Out“ Funktion widerwillig dutzende Löcher in das neu designte Flugzeug.

Bei Booten ist die Situation durchaus vergleichbar. Schiffsarchitekten der alten Schule wählen die Größe von Bullaugen mit Bedacht. Und nimmt man die Kommandobrücken hochseetauglicher Fischtrawler in Augenschein, dann findet man dort nicht selten Cockpitscheiben in Panzerglasstärke. Und Fischer sind in aller Regel sparsamer Natur. Ohne guten Grund würden sie die Extrakosten für teures Glas nicht akzeptieren.

Der Trend zu Panoramafenstern

Sieht man sich hingegen heute auf den Bootsmessen um, so hat man den Eindruck, dass viele bewährte Tugenden der Schiffsarchitektur Schnee von gestern sind. Kaum ein Boot mehr, dessen Rumpf nicht mit großzügigen Fensterflächen übersät ist. Ja, wahre Panoramafenster werden da mitunter verpflanzt. Am besten noch bis 10 Zentimeter über die Wasserlinie gezogen, damit man beim Einschlafen schön die Wellen beobachten kann, die gegen das Boot schlagen.

Zugegeben: ein lichtdurchfluteter Raum schafft ein Gefühl von Weite und Wohlfühlatmosphäre. Und mit hochwertigen Materialien konstruktiv richtig umgesetzt, bietet die heute Technik auch einiges mehr an Gestaltungsspielraum für derlei trendiges Ambiente.

Außerdem hatten die Hersteller ja mittlerweile auch einige Jahre Zeit, den korrekten Umgang mit diesen Designelementen zu erlernen.

Augen auf beim Kauf von Gebraucht-Booten!

Rumpffenster an einer Motoryacht

Aber was ist mit jenen Booten, die erstmals mit derart großen Fensterflächen in den Rümpfen ausgeliefert wurden und nun auf dem Gebrauchtmarkt mit 10 Jahren oder mehr anzutreffen sind? Booten also, die über Ihren Einsatz in der Messehalle hinaus auch schon einige schwere Seen durchritten und viele Slips oder Kranungen hinter sich haben? Sollte man vielleicht doch lieber zweimal hinsehen, um den Zustand ihrer Fenster zu beurteilen?

Die Antwort ist aus meiner Sicht ein eindeutiges JA! Es sei denn, Sie sind Besitzer einer Werft und freuen sich über familieninterne Reparaturaufträge.

Die Zeit heilt alle Wunden

…so spricht der Volksmund. Und für manche Bereiche des Lebens mag das sogar zutreffen. Ganz anders aber sieht das bei vielen Kleb- oder Kunststoffen aus.

Als eher lichtscheue Gattungen, mögen Sie lange Aufenthalte unter UV Licht nur mäßig. Sie vergilben, werden matt oder verspröden. Und nichts davon will man am Fenster seiner Eignerkajüte eines Tages feststellen.

Doch wer aufmerksam durch die Marinas läuft oder sich mit größeren Werften unterhält, muss leider feststellen, das sich Reparaturen auf Grund solcher Mängel häufen. Sogar von Skippern, die plötzlich im Freien saßen, weil sich das Fenster gänzlich verabschiedet hatte, wird da mitunter schon berichtet.

Rumpffenster an einer Motoryacht: Spannungsrisse
Spannungsrisse am Fensterrand
Rumpffenster an einer Motoryacht: Spannungsriss Detailansicht
Detailansicht Spannungsriss

In einer idyllischen Bucht inmitten der Kornaten mag das ja erst einmal nur für eine willkommene Brise im aufgeheizten Schlafabteil sorgen. Auf einer etwas stürmischeren Passage möchte man sich die Folgen eines solchen Defekts jedoch nicht ausmalen.

Zwar hat sich die Klebetechnik in den letzten 10 Jahren deutlich weiterentwickelt. Doch das Problem ist eben, dass man gerade bei etwas älteren Gebrauchtbooten oftmals nicht mehr genau nachvollziehen kann, welche Klebstoffe zum Einsatz kamen und vor allem, ob diese auch RICHTIG angewendet wurden. Ergo, ob diese Verbindungen den ständigen Verzug eines Rumpfes bei Seegang oder beim Slippen auf Dauer wegstecken können. Insbesondere, da auch strukturelle Schoten immer öfter den Ansprüchen an weite, offene Räume weichen müssen.

Das gleiche gilt natürlich auch für die verwendeten Fenstermaterialien.

Und abgesehen vom Sicherheitsaspekt, sollte man auch bedenken, dass der Austausch eines größeren Rumpffensters gut einmal 10.000 Euro oder mehr verschlingen kann

Worauf beim Kauf von Booten mit Rumpffenstern zu achten ist

Cranchi T36 Rumpffenster
Eine unliebsame Überraschung für den Eigner dieser Cranchi T36: die äussere Scheibe hat sich komplett gelöst

Wenn Sie sich für den Kauf eines Bootes oder einer Yacht mit großflächigen Rumpffenstern entscheiden, dann sollten Sie also folgenden Punkten erhöhte Aufmerksamkeit widmen:

icon attention Achten Sie bei verklebten Fenstern darauf, ob diese einen geschwärzten Kleberand aufweisen (ähnlich wie bei ihrem Auto). Dieser dient als Haftgrund und schützt den darunterliegenden Kleber vor schädlicher UV-Strahlung.

icon attention Ist die Klebefläche hingegen zu sehen, dann achten Sie auf Anzeichen von Delaminierungen. Ansammlungen von Lufteinschlüssen oder größere Blasen im Kleberbett sind ein deutliches Warnsignal!

icon attention Überprüfen Sie insbesondere die Ränder der Fenster sorgfältig auf Rissbildung. Wie auch bei einem Steinschlag an Ihrer Autoscheibe, können sich diese schnell ausbreiten und zu einem Versagen der Scheibe führen.

icon attention Und achten Sie zu guter Letzt auch im Inneren auf Feuchtespuren an Verkleidungen oder Einrahmungen.

icon attention Stellen Sie einen Mangel fest, so empfiehlt es sich, noch vor dem Kauf einen Kostenvoranschlag für eine fachgerechte Reparatur einzuholen und die veranschlagten Aufwendungen bei der Preisverhandlung zu berücksichtigen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen stets ungetrübten und schönen Ausblick!

Herzlichst, Ihr

 

Ing. Ingolf Schneider, MASc (AssocRINA)

Ing. Ingolf Schneider, MASc (AssocRINA)

Zertifizierter Sachverständiger für Boote und Yachten bis 24m (LLoyds Maritime Academy, American Boat and Yacht Council). Mitglied der Royal Institution of Naval Architects.